Heimspiel • Ulf Schmidt • Zimmertheater Tübingen • 12. Mai 2008 (UA)
Sie: Nicole Schneider
Er: Robert Arnold
Bia: Hannah Kobitzsch
Kratos: Endre Holéczy
Bühne/Kostüme: Britta Schreiber
Presse
von Horst Lohr
Sie sind auf Gedeih und Verderb in den Restbeständen wohlanständiger Bürgerlichkeit aneinandergefesselt, und doch prügeln sie sich mit dem Fäkalton ihrer Satzfetzen. „Er“ und „Sie“ stecken in Hausanzügen mit dem blässlichen Blumenmuster, das auch die Vorhänge vor den Fenstern ihrer mit Müllsäcken und Batterien leerer Schnapsflaschen verstopften Wohnbox verunziert.
„Heimspiel“ betitelt der Autor Ulf Schmidt sein Debütstück. Es ist die dramatische Fallstudie eines mit einer Prise Strindberg angereicherten Beziehungskriegs in Zeiten von Hartz IV. Regisseurin Britta Schreiber, die auch die Ausstattung besorgte, entdeckt bei der Uraufführungsinzenierung für das Zimmertheater Tübingen unter der Oberfläche erbarmungslos harter Dialoge die Verlorenheit zweier Menschen, die aus dem sozialen Gefüge gefallen sind. Zwei, die sich in der Arbeitslosigkeit wie Ertrinkende an ihre gegenseitige emotionale Abhängigkeit klammern.
Hinter den gehässigen Ritualen wechselseitiger Beschimpfungen lassen die Schauspieler Robert Arnold und Nicole Schneider die Angst des Paares vor dem Verlassenwerden erkennen. Wenn er sie beim chronischen Streit um die Entsorgung des Mülls als „Dreckstück“ tituliert und sich dafür ein „Fick dich“ einfängt, suchen sich die Blicke der beiden in unbestimmter Leere. Seinen Griff zur Pulle beantwortet sie mit einem Schluck aus dem Schnapsglas. Er weigert sich, lesen zu lernen – aus Wut auf die Macht der Sprache. Sie kontert, indem sie ihm genüsslich die immer gleiche Botschaft der Arbeitslose vorliest, die ständig ins Haus flattern: Nieten, nichts als Nieten.
Etwas seltsam hat Ulf Schmidt noch zwei Ordnungsgötter gezeichnet, die das abgestandene Leben des Paares durcheinander wirbeln sollen. Auch die Regisseurin Britta Schreiber konnte mit diesen Figuren offensichtlich nicht viel anfangen. So kommen sie bei Endre Holéczy und Hannah Kobitzsch nicht über zwei unmotiviert durchgeknallte Beamte der Fremdbestimmung hinaus.
von Monique Cantré
„Halt die Schnauze“, sind die ersten Worte, die in Ulf Schmidts „Heimspiel“ fallen. Sie gehören zur feineren Sorte der Kommunikation, mit denen Er (Robert Arnold) und Sie (Nicole Schneider) die Zeit totschlagen. Am häufigsten zu hören ist: „Fick dich ins Knie“.
In ihrer vollgemüllten Stube führen die beiden als hässliche Assoziale einen permanenten Wettstreit der Gemeinheiten, sofern sie nicht durch zwei aufgekratzte „Götter“ (Hannah Kobitzsch und Endre Holéczy) bezaubert oder drangsaliert und in eine andere Gesellschaftsebene gebeamt werden, wo sie alsbald genauso rüde verbal entgleisen. Ziemlich freudlose Unterhaltung bietet das Zimmertheater mit seiner jüngsten Produktion. Das Publikum, das den kleinen Kellerraum nicht ganz füllte, spendete am Freitag nach der siebzigminütigen Premiere höflich Applaus und konnte dann noch den schönen lauen Maiabend genießen.
Klamotten aus Vorhangstoff
Regisseurin und Ausstatterin Britta Schreiber rückt das offenbar dem momentanen Zoten-Trend verpflichtete „Hartz-IV-Stück“ von jeglichem Wohnküchen-Naturalismus ab und gibt ihm eine absurde Note. Sie und Er sehen wie künstliche Spielfiguren aus und tragen Freizeitanzüge aus dem gleichen Stoff wie ihre Barock-Dekor-Gardinen. Er ist dazu noch sichtbar dilettantisch zum Fettsack ausgestopft. Die verstreuten gelben Säcke und die sauber gespülten Schnapsflaschen sind eher Zitate als wirklicher Abfall. Kein Fernsehgerät, das angeblich dauernd läuft, keine Arbeitsamt-Formulare, keine Matratze. „Ritsch-ratsch“ sagt Er, wenn er einen nicht vorhandenen Brief ungelesen zerreißt. Man kapiert es meistens, besonders, wenn es ganz krass kommt, wie beim akustisch angedeuteten Flaschenwurf aus dem Fenster, der drunten auf der Straße ein Kind erschlägt. Nur der Text lässt sich nicht abstrahieren; der bleibt vulgär bis zum Überdruß – und sprachlich grausam öde.
Der Witz, dass die Arbeitslosen unterm Klang der „Morgenstimmung“ aus Griegs Peer-Gynt-Suite von der Göttin im roten Unterrock Arbeits-Lose zugeworfen bekommen, nutzt sich durch die Wiederholungen bald ab. Diese Arbeits-Lose sind chinesische Glückskekse mit blumigen Verheißungen oder Nieten, die Sie Ihm vorlesen muß, weil Er Analphabet ist. Viel mehr tut sie nicht für ihn, weil sie sich vor ihm ekelt. Er ist krank, „kotzt Blut“, pinkelt in die Hose und ist aggressiv. Doch ohne einander können sie auch nicht sein, wird letztlich klar: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.
Und da sind ja auch noch Gott Kratos und Göttin Bia, die in Britta Schreibers Inszenierung in grauen Business-Anzügen wie Investement-Zampanos in die Szene rauschen, getragen vom heftigen „Tijuana Taxi“ Sound, und wie überreizte Behördenhengste um Ordnung brüllen. Ihr hauptsächliches Interesse gilt freilich dem Feuer ihrer eigenen Beziehung; ständig fallen sie zum Knutschen übereinander her. Dabei verlieren sie möglicherweise ebenso wie der Zuschauer den Überblick über das, was mit dem Loser-Paar geschehen soll.
Uraufführung am Tübinger Zimmertheater: Ulf Schmidts 'Heimspiel' als Sozialgroteske
„Schnauze“, „Bring den Müll raus“, „Hol mir ein Bier“, „Morgen vielleicht“ – so lautet der Konversations-Refrain des Prolpärchens, das sich in „Heimspiel“ einen klischeemäßig rauhbeinigen Blutgrätschen-Zweikampf in Plattenbaupoesie liefert. Man hat mit- und gegeneinander schon alles durchgespielt. Im Grunde gibt es längst nichts mehr zu sagen, das aber auf besonders dreckige Weise, und wenn auch nur, um die Leere in der müllverseuchten Hochhaus-Einraumhölle zu füllen.
Auch das Zimmertheater-Zimmer ist mit Holzbrettern verrammelt. Aber man hat eine Seite offengelassen, damit sich das gesittete Theaterpublikum das Trauerspiel dieser abgefuckten Assis reinziehen kann. Robert Arnold hockt als ranziger Analphabet aufgedunsen auf seinem Stuhl, kippt seinen Schnaps, hustet Blut und wirft als persönliches Unterhaltungsprogramm seine Flaschensammlung auf Passanten.
Nicole Schneider hat sich für ihre Rolle als verlebte Unterschichtlerin nicht minder verwahrlost aufgetakelt, versucht allerdings immer mal wieder in einem (epileptischen) Anfall von Frustriertheit die verschimmelte Beziehung zu ändern – vergeblich: Hier gibt es keine neuen Muster, selbst die Klamotten sind aus demselben Stoff, aus dem auch die Vorhänge sind. Gab’s wahrscheinlich mal güstig bei Lidl.
Man wähnt sich also in einem Song von Bushido oder beim Nachmittags-Talk, wo sich der Abschaum gegenseitig die Fresse poliert. Und auch im Zimmertheater werden die beiden vorgeführt: die Grenze zum Zuschauerraum markiert eine Museumskordel, hinter der man das Krawallduo ausgestellt hat wie im Hartz-IV-Zoo, so dass den Besuchern bei diesem Anblick ein wohlig angewiderter Schauer den Rücken herunterlaufen kann.
Übrigens: Der Autor des Stücks, Ulf Schmidt (Jahrgang 1966) hat über „Platons Theater“ promoviert und ist gegenwärtig als Werbetexter in Frankfurt tätig. Sein „Heimspiel“ ist kein anklagendes Sozialdrama, sondern ein Experimentenstadl, bei dem sich das Pärchen zu Griegs kitschiger „Morgenstimmung“ nicht nur in ein anderes Leben hineinträumen darf, sondern diese Träume versuchsweise tatsächlich wahr werden. Und so taucht wie in der Glotze eine Art „EinsatzinvierWänden“-Kommando auf, das abwechselnd als Glückskeksbringer („Die Arbeits-Lose sind da“), Rettungssanitäter, Sozialamtskontrolleure oder Lottofeen das eingespielte Hassteam mächtig triezt oder auf Vordermann bringt.
Nicht ganz gewaltlos, versteht sich, denn das ist, so suggeriert das Stück, die Sprache, die dieses Pack versteht. Regisseurin Britta Schreiber geht es dabei weniger um street credibility. Sie setzt eher auf eine überzogene Arbeitsweise, die das Gehabe des Stückpersonals ins Groteske und Absurde führt. Vor allem die rigorose Sondereinstztruppe geht dabei mit einer durchdringenden Hymne laut und schlagkräftig zu Werke. Hannah Kobitzsch schwebt als Glücksfee durch den Traum-Raum, während sich Endre Holéczy als rabiater, zackiger Helfer und Peiniger erweist, der mit seinen Probanten soziologische Versuche anstellt.
Wahrscheinlich haben sich diese zwei dei ex machina mittlerweile an den ganzen Sozialdramen satt gesehen und lassen das Pärchen deshalb zur Abwechslung auch mal eine Bankdirektorennummer durchspielen – die zur etwas flachen Pointe des Stücks führt: Beim Bankchefduo geht es nämlich genauso assi zu wie unterm Existenzminimum. Er sitzt hinter seiner Zeitung, Sie auf einer Schaukel, und gemeinsam ödet man sich an, nur mit mehr Geld und in einem gepflegteren Ton. Auch hier kämpft man mit dem Alltag und träumt von einem besseren Leben, das sich dann unter Umständen als Hölle erweist.