Der Schrei der Rumba • Andreas Marber • Theater Osnabrück – Naturkundemuseum am Schölerberg • Oktober 2006
„Der Schrei der Rumba“ von Andreas Marber markiert den Beginn einer neuen Freundschaft: der zwischen dem Theater Osnabrück und dem Museum am Schölerberg. Am Samstag wurde das Stück in dem naturkundlichen Museum uraufgeführt.
Noch fehlt Immanuel das richtige tänzerische Gefühl. Seine „Haltung!“ erinnert eher an militärische Grundausbildung als an Turniertanz. Aber die Hüften werden lockerer, die Schritte geschmeidiger. Und irgendwann schwebt Immanuel im lasziven Rumbarhythmus in den Nebenraum. Mit seiner Partnerin Kurt im Arm.
„Wer hier was sein will, muss ab und zu über die Ufer treten“: Es ist ziemlich eindeutig, welche Ufer Andreas Marber mit seinem „Schrei der Rumba“ hier meint. Während Immanuels Enkelin Sinje-Avene (Lisa Padeffke) fragt, „Opa, was machst du da?“, ist jedem im Publikum klar, was sich da hinter der verschlossenen Bühnentür abspielt: das späte Coming-out des Frührentners Immanuel. So endet das Stück, für das sich das Theater Osnabrück ins Museum am Schölerberg begeben hat, versöhnlich und mit einem leise-ironischen Blick aufs Schwulsein.
Lange bangte der Dramaturg, Übersetzer und Autor Marber um die Uraufführung seines 2003 entstandenen Stücks. Im Museum am Schölerberg fand er die ideale Umgebung für seine Geschichte: Zwei ältere Herren treffen sich im Magazin eines naturkundlichen Museums und erzählen sich die Geschichten ihres Lebens
Warum nun Marber die Realität der Museumsumgebung so zwingend braucht, bleibt sein Geheimnis, zumal sich eben doch ein Bühnenraum ins Obergeschoss zwängt. Immerhin hat Victoria Seute diesen Raum liebevoll ausgestattet – mit allerlei Getier aus dem Fundus des Museums. Und so finden sich Kurt (Klaus Fischer) und Immanuel (Thomas Schneider) in einer Umgebung wieder, wo sich präparierte Krokodile, Vögel, Murmeltiere in Regalen stapeln und zerbröseln wie die Erinnerungen der beiden älteren Herren an ein einstmals gelebtes Leben.
Es ist ein Zufall, dass Immanuel und Kurt die gleichen Anzüge tragen. Doch hinter dem biederen Beige verbirgt sich im Falle Immanuels ein tragisches Schicksal und bei Kurt eine schillernde Vergangenheit als Turniertänzerin. Ruhig entwickelt Marber seine Geschichten, und Regisseurin Britta Schreiber lässt ihren Darstellern viel Raum, führt sie dabei mit großer Natürlichkeit zwischen den Exponaten und einem großen Arbeitstisch in der Mitte herum. Dabei gelingt es ihr, Marbers kleine, aber immer wieder überraschende Pointen funkeln zu lassen.
Dennoch braucht das Stück Zeit, um Fahrt aufzunehmen. Brisanz entwickelt sich erst, als Immanuel in langen Monologen von seiner Scheidung und dem Selbstmord seiner Ex-Frau spricht – Zeugnisse eines gescheiterten Lebens. Dabei offenbart sich nicht nur die Gabe Marbers für die detaillierte Beobachtung, sondern auch die einfühlsame Darstellung Thomas Schneiders.
Für Kurt bleibt hier nur die Rolle des Stichwortgebers. Im zweiten Teil des Abends kehren sich die Rollen um: Hier erzählt Klaus Fischer genauso einfühlsam wie Schneider von der goldenen Zeit seiner Pubertät – die er als Turniertänzerin verbrachte. Das gibt dem Stück einen frivolen Touch, ohne dass es unter die Gürtellinie rutscht. Das tut erst Immanuel mit einem beherzten „Ausfallschritt auf drei“, der seine männliche Partnerin schmerzhaft trifft. Aber „zum Leben einer Turniertänzerin gehört der Schmerz ganz normal dazu“. Schauspielers Leid, Publikums Freud: Die Zuschauer bedanken sich mit warmem Applaus.