Der Hässliche • Marius von Mayenburg • Bayerisches Staatsschauspiel München – Marstall • März 2007
Lette: Jens Harzer
Fanny: Marina Galic
Scheffler: Thomas Loibl
Karlmann: Jan-Peter Kampwirth
Bühnenbild: Halina Kratochwil
Kostümbild: Julia Rogge
Presse:
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Besser, er ist sich seiner sicher. So sicher, dass er selbst dann noch, wenn er plötzlich nicht mehr nur er ist und ein anderer sein neues schönes Ich zu lauter ebenso schönen Ichs, Dus und Ers multipliziert hat, zu jemandem „Ich“ sagen kann, der vielleicht sogar er selbst ist. Das muss man nicht sofort verstehen, es reicht, wenn man zunächst das Wort „Identitätskrise“ behält. Doch es verstricken sich nun mal die Dialoge, wenn der Dramatiker Marius von Mayenburg (1972 als Münchner geboren) sich von sich selbst erholt: von seinen barbarischen Problemfamilien („Feuergesicht“) und Asbestgesellschaften („Parasiten“), von dem hintergründig Ernsten, das seinen Texten bisher ein gutes kleines Quentchen Schock verlieh.
Sein neues, Anfang Januar uraufgeführtes Stück „Der Hässliche“ spielt dagegen Komödienwirrwarr, getarnt unter einer kleinen, gruselig absurden, aber recht beliebig schlingernden Satire auf die Unverhältnismäßigkeiten der humanen Eitelkeit. Dass es dennoch fünf Viertelstunden wenn schon nicht mit dramatischen Tiefen, so doch mit theaterhandwerklichen Höhen erfüllen kann, das beweisen vier Schauspieler, zwei, drei Bänke und ein roter Teppich im Münchner Marstall, Nebenspielstätte des Bayerischen Staatsschauspiels.
Der Protagonist Lette ist furchtbar hässlich, aber hätte er nicht diesen genialen Starkstromstecker entwickelt, es hätte ihn nie gewurmt. Damit sich der auch gut verkauft, lässt sich Lette ein schönes Gesicht anoperieren. Doch bald häufen sich im Angesicht dieses Gesichtsverlustes irritierende Probleme in Gestalt von zahllosen Verehrerinnen und Lette-Klonen, die ihn bis in die Schizophrenie treiben. Zuletzt hilft nur: Erkenne dich selbst, sonst tut es keiner.
Regisseurin Britta Schreiber war klug, die sich überschlagenden Wortspiele in einem nicht vorhandenen Bühnenbild und nachtkatzengrauen Anzügen auf Zimmertemperatur herunterzukühlen und all die Ich-ist-ein-anderer-Variationen sich selbst sowie dem trockenen Witz von Jens Harzer, Jan-Peter Kampwirth, Marina Galic und Thomas Loibl zu überlassen – leidend, raunend, flirtend, feixend. Da schaut der schenkelklopfende Spaß sich kopfschüttelnd selber zu, wenn mit unaufdringlicher Regelmäßigkeit der eine oder andere aus seiner Rolle bricht oder einfach nur nervös am Knie seines Nachbarn herumfummelt. So wird der Zwerg im Sitzen größer, der dramatische Boulevard geschliffen lachstabil.
Als Schlüssel fungiert die tiefer als alles andere führende einzige Regieanweisung des Autors: Drei Schauspieler changieren unentwegt, fast übergangslos in ihren Zwillingsrollen. Nur einer bleibt, auch optisch, immer derselbe: ausgerechnet der, dessen Aussehen sich operativ um 180° gewendet haben soll. Jens Harzer weckt in ihm die verzagt vergnügte Skeptik, mit der ein Schlafwandler seinem Traum begegnet. Besser denkt der, man ist sich sicher seiner selbst. (Teresa Grenzmann)
Eigentlich ist dieses Stück nicht wirklich mehr als ein gut gebauter Witz: Da lässt sich einer, der einen Starkstromstecker erfunden hat, aber nicht präsentieren darf, weil er wie man ihm zum ersten Mal in seinem Leben sagt, weil er dafür zu hässlich ist, weil er sogar unsagbar hässlich ist, da lässt sich also so einer das Gesicht operieren, und zwar so perfekt, dass er danach: schön ist. Aber so richtig schön. Und plötzlich ist alles anders. Natürlich präsentiert jetzt er seinen Starkstromstecker, natürlich verkauft der sich jetzt bestens, und natürlich stehen die Frauen jetzt Schlange und die Söhne von den Frauen auch. Dumm nur, dass der Schönheitsoperateur auf die Idee kommt, aus dem neuen Gesicht des Starkstromsteckererfinders gleich einen Prototypen zu machen. Und so begegnet der Starkstromsteckererfinder bald vielen, die zwar nicht wirklich er sind, aber sein Gesicht haben, wobei dieses ja auch nicht wirklich seines ist, denn das war ja eigentlich hässlich, also so richtig hässlich.
So weit, so gut. Eigentlich also ist dieser „Hässliche“ von Marius von Mayenburg nicht mehr, als ein gut gebauter Witz, in den man sicherlich noch die eine oder andere Kritik am Zeitalter von Schönheitswahn und Verwechselbarkeiten ebenso hineininterpretieren kann wie die Kritik an ausgebufften Vermarktungsstrategien, in denen der Mensch selbst längst zur Ware geworden ist. Doch schon der Autor selbst hat diesem Witz mit seinen Regieanweisungen gleichsam einen theatralen doppelten Boden eingezogen. So weist Mayennburg darauf hin, dass sämtliche Nebenfiguren von nur drei Darstellern gespielt werden sollen, dass der Hässliche selbst keineswegs auf hässlich geschminkt sein soll und: dass die verschiedenen Schönheitsoperationen der verschiedenen Personen optisch keinerlei Effekte haben sollen. Und so kann sich dieser Witz also theatral zu einem Stück auswachsen über Wahrnehmung und damit über das, was schön und was hässlich ist ebenso wie über theatrale Wahrnehmung und damit über jene Verabredungen im Theater, die getroffen werden darüber, wer jetzt gerade was oder wen darstellt und an was oder wen man da jetzt gerade glauben muss, damit Theater überhaupt funktioniert.
Und genau hier hat Regisseurin Britta Schreiber mit ihrer ebenso humorvollen wie intelligenten Inszenierung angesetzt. Dabei schickt sie ihr vierköpfiges fulminantes und immer vollzählig präsentes Ensemble gar nicht erst in die Illusion irgendwelcher Kulissen, sondern setzt es im nackten Marstall einfach auf ein, zwei graue Bänkchen, wo man sich nah rücken oder voneinander abrücken kann, wo man sich berühren oder auch mal befingern kann, sich anblicken kann oder dies besser auch mal sein lässt und wo das Stück und seine Behauptungen von Hässlichkeit und Schönheit und der Veränderung des einen in das andere gleichsam aus dem Sprechen heraus entstehen. Das ist dabei ziemlich flink und frech und wirkt keineswegs aufgesagt, sondern löst sich mehr und mehr in mit viel Spielwitz wie improvisiert wirkende Szenen auf, in denen sich etwa die jeweiligen Schönheitsoperationen weniger zu klinischen Studien als zu hochvergnüglich-verkrampften Körperclustern auswachsen. Wahrscheinlich ist es diese ironisch-leichte Regiehand von Britta Schreiber jenseits allen Illusionstheaters die da den Eindruck hinterlässt, als wehe so etwas wie ein wenig Frischluft im Bayerischen Staatsschauspiel. Wenn das ein Auftaktversprechen für diese neue Reihe ist, noch dazu im Münchner Marstall, der in seiner hallenhohen Strenge viel theatrales Potential hat, ja dann – nur her damit. (Sven Ricklefs)
„Ivana Trump: Zu arm für neue Arme?“, fragte vor einiger Zeit recht ungeschminkt die Bild-Zeitung und unternahm eine detailfreudige Trümmerbegehung als Fotosafari in jene Körperpartien, die noch nicht „gemacht“ wurden, wie das in der Branche heißt. Der Beauty-TÜV für Promis gehört mittlerweile zu den festen Serviceleistungen des Boulevards, Tatjana Gsell und andere Heroinen und Ruinen des plastischen Chirurgie könnten ein Lied davon singen, drohten nicht die Abnäher zu platzen, wenn sie die Lippen zu sehr spitzen. Und auch das Privatfernsehen hat den OP-Tisch für den abendlichen Augenschmaus und -graus entdeckt. Da jedoch entblößen sich seltener prähistorische Party-Geschöpfe als Nachwuchsmodels, die ihren naturidentischen Wirtskörper sowieso als Anlageobjekt betrachten. Während jene ihre körperlichen Gegebenheiten einfach als Sanierungsgebiete ausweisen, erhoffen sich komplexbeladene Teenager von abgesaugtem Bauchfett und Collagen-Lächeln ein deutlich gestrafftes Ego.
Seine große Vertrautheit mit dem Branchenjargon verrät, dass auch der Dramatiker Marius von Mayenburg sich in die Folterkeller des Beauty-TV hinab begeben haben muss, um das Thema satirisch zu verarzten – allerdings nicht, ohne es kapitalismuskritisch aufzuspritzen und mit scharfem Skalpell zur Farce zurecht zu schneiden. Denn bei seinem Lette ist es mit einer Teilsanierung nicht getan, es hilft nur ein Totalabriss des „Hackfleisch-Gesichts“. „Der Hässliche“, von Marius von Mayenburgs Stück im Münchner Marstall, ist so „unsagbar hässlich“, dass nicht mal seine Frau sich traut, es ihm zu sagen. Zum Problem wird das aber erst, als nicht er, sondern sein Assistent im Brigger Nobelhotel seinen Kopf hinhalten soll, um Lettes revolutionären Patentstecker zu präsentieren. Bereitwillig überlässt Lette seine entgleisten Züge einem Chirurgen, in dem das Katastrophengebiet den Ehrgeiz eines Pygmalion weckt. Ihm gelingt denn auch ein Meisterwerk, weshalb er den Prototypen bald in Serie gehen lässt. Lettes kurzes Zwischenhoch als Adonis, Womanizer und Marketing-Genie ist schnell vorbei. Plötzlich ist der Erfinder, der vergessen hatte, sich die Urheberrechte für sein neues Antlitz zu sichern, von inflationären Lookalikes umstellt und muss am eigenen Gesicht erfahren, dass manche Menschen bereits übertreiben, wenn sie Ich sagen, wie Adorno meinte.
Lettes Identitätsproblem implantiert dem Stück allerhand Verwechslungskomik, wobei sich die Pointen als Pushups von silikonartiker Robustheit erweisen. Zwar vermeidet von Meyenburg moralische Komplikationen seiner Schlemihl-Geschichte, indem er die Wunde schön trocken hält – so wird der austauschbar gewordene und von schizoiden Schüben gebeutelte Lette gerade noch rechtzeitig von einem seiner Doubles gerettet, als er die chirurgische Kapazität mit der schärfsten Klinge konsultiert: Schnitter Tod. Dass sein eigenes Spiegel-Ich Lette in narzistischen Bann schlägt, wirkt entzündungshemmend, legt aber auch die Schwäche des Stücks bloß, die nicht im operativen Bereich liegt, sondern im diagnostischen. schließlich landet mit dem satirisch betäubten Leidensdruck der Hauptfigur auch die Tragödie, die unter der Oberfläche stecken müsste, in der Nierenschale.
Die dramaturgische Abteilung des Bayerischen Staatsschauspiels hat erkannt, dass an dem Stück etwas „gemacht“ werden muss. Anders als die Kollegen von der Berliner Schaubühne, die in der Groteske bei der Uraufführung einen Fall für die inszenatorische Intensivmedizin sahen (SZ vom 8.Januar) setzt man in München auf ein hochkarätiges Team und deren Künste virtuoser schauspielerischer Bestrahlung. Mit dem Lächeln von Hyänen, die sich über das Aas der Illustriertenwelt hermachen, betreten die vier graustufig gekleideten Schauspieler die Bühne, auf der einige Versatzstücke genügen, um verschiedene Raumsituationen zu schaffen.
Es beginnt gleich mit dem gespielten Uralt-Witz von der Sitzbank, die nicht genug Platz bietet für vier – das Genre will bedient sein. Jens Harzer ist Lette. Der scheue Rollen-Tüftler und Sprechtechnik-Freak spielt ihn als einen, den es vom Bastelkeller aufs Schlachtfeld der Konkurrenzwirtschaft verschlagen hat. Wie vom Autor gewünscht, sieht er nach der als Gemeinschaftsorgie inszenierten Operation genauso aus wie davor, während seine drei Mitspieler fliegend die Rollen wechseln. Identität, so die Prämisse des Stücks, ist schließlich nur ein soziales Konstrukt.
So ist Marina Galic einerseits Lettes Frau Fanny, die es sofort einsieht, dass sie einen so schönen Mann mit anderen Frauen teilen muss, und sie ist die gleichnamige mannstolle, aber scheckheftgepflegte 73-jährige Unternehmerin, die auf einer Privatdemonstration von Lettes 40-Zentimeter-Stecker im Hotelzimmer besteht. So viel Unterhosenhumor muss sein. Thomas Loibl sorgt als Chef und Chirurg für komödiantischen Starkstrom, während Jan-Peter Kampwirth als Assistent und schwuler Sohn feinere mimische Drähte ins Spiel einspinnt.
Man versteht sich blind wie im OP. Unter der Regie von Britta Schreiber, die ihre Nähte geschickt verbirgt, wenden sie den Grundgedanken – die Verbindung von Körperpolitik und Urheberschutz – schmerzfrei ins Spielerische. Sie verkörpern nicht durchgehende Figuren, sondern sind Patchwork-Existenzen, Skulpteure des eigenen Rollenprofils. Ihre Gesichter gleichen sozialen Displays, auf denen die Gefühlsregungen aufleuchten wie Animationen, die im nächsten Augenblick in Pixel zerfallen. Diese ökonomische Spieltechnik sollten sie sich patentieren lassen: Künstliche Angebotsverknappung, so lehrt das Stück, erhöht schließlich die Nachfrage. Künstlerische auch. (Christopher Schmidt)
Das Bühnenbild ist auf ein Minimum reduziert, naja, eigentlich auf ein Nichts (Halina Kratochwil). Wenn Jens Harzer, Marina Galic, Thomas Loibl und Jan-Peter Kampwirth ins graue EdelTuch der grauen Marktwirtschaftsmäuse gewandet (Julia Rogge) die schwarzen Bretter des Münchner Marstalls betreten, schauen sie sich erst mal freundlich ihr Publikum an. Offenbar war bei der Premiere am Donnerstagabend der Anblick nicht hässlich. Also konnte Marius von Mayenburgs „My Fair Lord“-Komödie abschnurren: in knapp eineinhalb Stunden, mal skurril, mal valentinesk, mal zirzensisch, mal boulevardesk. Die gebürtige Münchnerin Britta Schreiber (Jahrgang 1966), die am Deutschen Theater Berlin lernte und arbeitete und mittlerweile in ganz Deutschland inszeniert, hat bei dem ganz frischen Mayenburg-Produkt fürs Bayerische Staatsschauspiel Regie geführt. Ihre erste hier.
Sie stellt die vier Schauspieler in den Mittelpunkt. Deswegen schleppen die dann auch als ihre eigenen Bühnenarbeiter die Ausstattung herbei; etwa ein Bank-Element. Aus solchen Teilen werden die Zuschauerreihen zusammengebaut. Zu viert quetschen sie sich auf das kleine Stück. Und schon ist die Situation „Reise nach Jerusalem“ da, bei der immer einer das Nachsehen hat. Jetzt der Ingenieur Lette (Jens Harzer), der gerade einen Stecker erfunden hat und ihn für seine Firma vermarkten will. Aber ausgetrickst wird. So weit, so stockrealistisch. Ins Surreale verzerrt das der Autor, indem er Lettes extreme Hässlichkeit einführt – der Schauspieler schaut völlig normal aus. Aber: Was alle Figuren über Lettes Äußeres aussagen, hat dieser bis dato überhaupt nicht bemerkt…
Von Mayenburg lässt die Entdeckung der Hässlichkeit in leichfüßigen Pingpong-Dialogen ablaufen. Tragisch wird hier nichts genommen, befindet man sich doch unter Macher-Menschen. Sie lösen die Probleme technisch, chirurgisch – als Menschen-Macher. Und schwupp ist der Hässliche der schöne Mann schlechthin. Aber was machbar ist, machen andere nach, bis es viele identische Schönlinge gibt. Der Autor spielt in fröhlicher, ab und an perfider Lust mit der Zerfaserung des Ichs – deswegen fließen auch Rollen ineinander – lässt die Urangst vor dem Doppelgänger, der Magie des Spiegelbildes, lässt Amphitryon und Narziss erahnen. Spielt zugleich mit dem Tabu, sich zum Schöpfergott aufzuwerfen. Die Furcht vor der Missgeburt vom Golem über Frankensteins Monster bis zum Klon ist zeitlos. So locker das Drama all das antippt und komödiantisch wieder links liegen lässt, so entspannt will Britta Schreiber inszenieren.
Das gelang. Auch wenn die Premieren-Verkrampfung teilweise zu spüren war. Weil das Theater gleichfalls mit Identitätswechseln zu tun hat, zieht das Bühnenteam diese Ebene zusätzlich ins Stück ein. Die Schauspieler als Schöpfer und ihre Geschöpfe zugleich. Thomas Loibl (Chef, Chirurg) und Jens Harzer kännen das am besten. Der eine präsentiert uns den saftigen Komödianten, raumgreifend, sinnlich, dominant. der andere den feinen Verschmitzten, der staubtrocken Pointen streut, den Hinterkünftigen, der von sich scheinbar kein Aufhebens macht. Galic und Kampwirth können zwischen den beiden kaum eigene Akzente setzen.
Schreiber bemerkt das. Deswegen stellt sie neben das Schauspielerpersönlichkeits-Theater eines der Körperlichkeit. Die Schönheitsoperation wird so zum Slapstick-Zwitter aus Vierer-Ringkampf und -Liebesakt. Beweis, dass alles doch zum Fleische drängt: Es trägt das Leben, das Ich, und sei es noch so mehrdeutig, und endlich das Wort – des Dichters, der Schauspieler. (Simone Dattenberger)
In Marius von Mayenburgs Groteske „Der Hässliche“ macht ein Ingenieur nach einer Schönheitsoperation Karriere. Am Bayerischen Staatsschauspiel wurde aus der simplen Parabel eine amüsante Farce.
Pech für Herrn Lette, dass er nicht gut aussieht. Obwohl er als Chef der Entwicklungsabteilung den neuen Starkstromstecker erfunden hat (den mit der „Sicherungsschranke gegen den Überschlag“), darf er ihn nicht selbst auf dem Kongress präsentieren. Statt dessen soll sein Assistent ans Rednerpult. Der hat zwar kein Diplom, aber eine hübsche Visage. Schließlich geht es ja darum, das Produkt an den Mann zu bringen, und beim professionellen Marketing zählt nur der äußere Schein.
Doch Lette schlägt zurück: Vom Schönheits-Chirurgen lässt er sich ein neues Gesicht schnipseln. Das gelingt so gut, dass die Frauen jetzt bei ihm Schlange stehen. Weil sie sich speziell für die „Stecker-Buchsen-Verbindung“ interessieren, über die Lette plötzlich auf sämtlichen Kongressen referieren darf – was wiederum seiner Firma Rekordgewinne beschert. Denn nicht nur Kleider machen Leute. In Zeiten der plastischen Chirurgie gibt auch physiognomisches Design der Karriere einen kräftigen Schub.
Doch als Lette merkt, dass er mit seinem idealen Adonisgesicht zum austauschbaren Sehnsuchtsobjekt geworden ist, wünscht er sich seine unverwechselbare Physiognomie und Hässlichkeit zurück. Merke: es ist nicht alles Gold, was glänzt, und Hochmut kommt vor dem Fall.
Auf den ersten Blick sieht also alles so aus, als werde das Münchner Marstall-Theater, die Dependance des Staatsschauspiels, wieder mal seinem Ruf gerecht, von einer Avantgarde-Bühne zum Ort fürs Bieder-Didaktische verkommen zu sein, wo man keine Sicherungsschranke für den theatralen Überschlag nötig hat. Denn Marius von Mayenburgs harmlose Groteske, die dort aufgeführt wurde, erweist sich als simpel gestrickte Parabel mit Schulfunk-Anklängen, die für die Mittelstufe gerade den richtigen Komplexitätsgrad aufweist.
Aber manchmal geschieht das Unerwartete, und die Nebenspielstätte wird zum Tummelplatz für Hauptakteure: Weil Intendant Dieter Dorn der begabten Regisseurin Britta Schreiber einen tiefen Griff in seine Schatzkiste gestattete, sind mit Jens Harzer (in der Titelrolle) und Thomas Loibl, aber auch mit Marina Galic und Jan-Peter Kampwirth Spitzenkräfte des Staatsschauspiels zu bewundern, die den Abend zur amüsanten Farce hochschrauben.
Auf einer leeren, nur mit rotem Teppich und Sitzbänken möblierten Bühne führen diese grauen Anzug-Mäuse im Verein eine Neurosen-Gymnastik aus Hüpfen, Zittern und Zupfen vor, die in den linkischen Nahkampfeinlagen der (völlig unblutigen) Operationsszenen zu haarsträubend witzigen Kurzschlüssen führt. In diesen überdreht-abgründigen und beklemmend komischen Momenten steht die Aufführung dann wirklich unter Starkstrom. (Alexander Altmann)
Die Bühne leer. Als Requisiten dient, was die Arbeiter nicht verräumt haben: zwei Sitzbänke, ein Transportwägelchen, der Feuerwehrschlauch. Quasi aus dem Nichts erschafft Regisseurin Britta Schreiber eine wunderbare Komödie – und natürlich aus den brillanten, verblüffenden, Volten schlagenden Dialogen, auf denen Marius von Mayenburgs Märchenstückchen „Der Hässliche“ beruht.
Ein bis dahin glücklicher, erfolgreicher, aber hässlicher Mann lässt sich aus beruflichen Gründen ein neues Gesicht operieren. Er wird noch glücklicher und noch erfolgreicher – und kann mit den Folgen doch nicht leben.
Schlichter Stoff, üppiges Spielmaterial. Die Regisseurin bereitet ihren grandiosen Schauspielern mit genauem Gefühl für Sprache, Rhythmus und Witz den Boden. Gerade nicht den versierten Business-Tonfall sprechen die Schauspieler in fliegenden Rollenwechseln bei ihren Geschäften. Sie färben ihre Unsicherheiten, Zweifel, Anmaßungen hinein, konterkarieren ihn mit unpassenden Gesten aus einem anderen Gespräch. Hinreißend Jens Harzer als Hässlicher und Thomas Loibl in seiner Dreifachrolle. (Christine Diller)
FTD-Bewertung: 5 von 5 Punkten
Schön. Schön.
Schön ist, was gefällt, hieß es früher im Volksmund. Ist im Zuge des allgemeinen Wandels heute nur noch schön, was dazu erklärt wurde? In einer Gesellschaft, in der das Selbstgefühl der Menschen extrem stark von ihrem Äußeren abhängt und es keine Probleme mehr verursacht, diese Oberflächen zu korrigieren, kann alles in perfekte Form gebracht werden. Ist das aber bezeichnete Perfekte nicht lediglich die Umsetzung einer Vorstellung, damit Reduktion des in sich individuell Vollkommenen? Die Perfektionierten gleichen sich, nur die Hässlichen unterscheiden sich deutlich.
Der Hässliche, Lette, ist ein begabter Ingenieur, welcher eine grandiose Erfindung gemacht hat. Dass er hässlich ist, erfährt er erst von Scheffler, seinem Chef, als es um die Vorstellung seines Produktes auf dem Markt geht. Seine schöne Frau Fanny hat ihm bislang immer ins linke Auge geblickt und daran ihre Liebe zu ihm festgemacht, oder an seiner Stimme. War ihre Beziehung zu ihm also bisher eine rein akustische? Da Lette nicht hinter seinen Assistenten Karlmann zurück treten möchte, bleibt ihm nur eine Schönheitsoperation. Chirurg Scheffler will aber erst überredet werden, denn die Aufgabe scheint übergroß.
„Aber ich finde, Narzissmus ist nichts, was man anprangern kann, nicht mit gutem Gewissen und nicht vernünftiger Weise, und so schlimm ist das alles nicht. Sondern in erster Linie lustig.“, so Marius von Mayenburg. Wahrnehmungen und Vorstellungen bilden den Kern in seinem Stück „Der Hässliche“. In dieser Komödie, die durchaus Tiefgang hat, geht es um den Umgang mit Schönheit und Individualität in der modernen Gesellschaft. Gewitzt, satirisch, mit trockenen Pointen geht der Autor heran. Seine Figuren hinterfragen sich auch, selbst wenn nichts dabei heraus kommt. Gerade das macht den Reiz des Werkes aus. Und das darzustellen, war die Kunst, die die Darsteller Jens Harzer, Thomas Loibl, Marina Galic und Peter Kampwirth mit Bravour meisterten. Sie stellten abwechselnd verschiedene Figuren dar und wechselten gekonnt mitten in der Szene Text und Charakter, ohne sich äußerlich zu verändern. Mit vollem Einsatz, sprachlich mimisch und körperlich, hatten Thomas Loibl und Jens Harzer die Komödie zum Laufen gebracht. Zwei große komödiantische Talente spielten sich zu, stockten schon mal, kaum merklich, da das Spielvergnügen auch ihr Zwerchfell reizte. Das übertrug sich auf die Zuschauer und beförderte die Dynamik dieser Inszenierung.
Die Absurdität der Vorgänge fand nicht nur sprachlich Ausdruck, sondern wurde auch in drastisch komischen Situationsbildern vorgeführt. Chirurg Scheffler (Thomas Loibl) bearbeitete seine Patienten mit vollem Körpereinsatz, drang geradezu bis zu ihrem innersten Wesen vor. Stets begann er mit der Nase, „… denn die steht am weitesten vor im Gesicht“. Jens Harzer vollzog die Wandlung vom unbedarften hässlichen, doch liebenswerten, bis zum selbstgefälligen Zeitgenossen, vor dessen Tür die Frauen um ein Autogramm Schlange standen. In Gestik und Mimik fein intensiv und unnachahmlich, forcierte er den Text. Marina Galic und Jan-Peter Kampwirth sprangen überzeugend von Figur zu Figur in einer Szene.
Die klare Inszenierung von Britta Schreiber, die karge Bühne (Halina Kratochwil), die wenigen Requisiten lenkten die Konzentration auf die Sprache und den Witz hinter Text und Darstellung. So sollten die Bilder in den Köpfen der Betrachter entstehen. Doch die Realität auf der Bühne fesselte die Aufmerksamkeit bisweilen weit mehr.
Perfekt ist das Werk nicht, vielmehr ist es sehenswertes Theater, das durch ausgezeichnete Inszenierung und hervorragende Darsteller besticht. (C.M.Meier)