Zu jung zu alt zu deutsch
Zu jung zu alt zu deutsch • Dirk Laucke • Landestheater Schwaben, Memmingen • 04. Februar 2012 • Bayerische Theatertage Augsburg Mai 2012
Mit: Katharina Puchner (Gitte), Michaela Fent (Sascha), Elisabeth Veit (Lydia), Matthias Tuzar (Jens), Matthias Wagner (Roy)
Presse:

Allgäuer Zeitung | 07.02.2012 | Intensives Gesellschaftsdrama am LTS in Memmingen - 'Zu jung zu alt zu deutsch' streut Salz in offene Wunden
Blutkonserven zu beiden Seiten der Bühne, fein säuberlich in Reih und Glied an Fleischerhaken aufgehängt. Damit das Publikum sich gleich darauf einstellen kann: Hier geht’s ums Eingemachte. Um die deutsche Vergangenheit. Blutsbrüder sind wir alle. „Kein schöner Land“ darf da nicht fehlen. Das Stück „Zu jung zu alt zu deutsch“ des jungen Autors Dirk Laucke feierte im Studio des Landestheaters Schwaben in Memmingen mit Skepsis gegenüber dem Text und kräftigem Applaus für die Schauspieler Premiere. Lauckes Fünf-Personen-Stück ist ein grobschlächtiger, schriller, zynischer Text, der den roten Blutsfaden von Auschwitz zu heutigen militanten extremistischen Denkstrukturen zieht. Roy (Matthias Wagner) gerade aus dem „Bau“ entlassen und schon wieder vollgedröhnt, sieht in jedem, der einen Gartenzaun um sein Eigentum zieht, einen Nazi. In rosarotem Rammler-Kostüm versucht er mindestens fünf Frauen am Tag aufzureißen. Dann trifft er Lydia (Elisabeth Veit), seine Ex-Freundin. Sie glaubt sich als Nachgeborene per se „näher an den Opfern dran“ und will lang nicht wahrhaben, dass ihr Großvater ein strammer Nazi war und sich auch heute noch in seiner SS-Uniform von zwei Putzfrauen (Katharina Puchner und Michaela Fent) in Reizwäsche sexuell bei Laune halten lässt. In hellgelben, dollyhaften Etuikleidchen versucht Lydia, ihrer Demo-Vergangenheit in autonomen Kreisen durch die Verbindung zu Sauber-Mann Jens (Matthias Tuzar in babyblauem Trainings-Anzug) zu entkommen. Sie alle sind zu jung für die persönliche Erinnerung, zu alt fürs naive Vergessen und zu deutsch für ein gesundes Selbstbewusstsein. Das 2009 in Osnabrück uraufgeführte Stück bewegt sich an den Bruchstellen der deutschen Gesellschaft, im Randgruppenbereich von Asylanten, Niedriglöhnern und Gestrauchelten. Doch Regisseurin Britta Schreiber und Ausstatterin Rahel Seitz schaffen es, durch einen ironisch distanzierten Blick auf die Figuren einer allzu naturalistischen Darstellung von Unterschichtenproblematik und so auch der resignativen Hoffnungslosigkeit dieses Personals zu entgehen. Ihre Umsetzung besitzt Witz und ein perfektes Timing zwischen stillen und lauten Szenen auf einem nur mit einer hohen Matte bedeckten, engen Spielraum. Ihre eindringlichsten Momente hat die Inszenierung da, wo die Figuren authentisch und durchlässig werden, etwa wenn Lydia im Zuschauerraum einsam von ihrer Fehlgeburt spricht. Wenn man sich drauf einlässt, dass hier einmal besonders grobes Salz in die offene deutsche Wunde gestreut wird, kann man ein hervorragend dargebotenes Kammerspiel erleben. Jana Schindler