WERTHER • Gastspiel Metropoltheater München • November/Dezember 2005 • Badische Theatertage 2005 • Gastspiel Theater Tübingen 2006
Der großartige Atef Vogel ist Werther im Metropol-Theater
Atef Vogel ist Werther. Ganz allein im Metropol-Theater. Und doch ist Vogel eine Welt. Weil da nicht einer an einer unmöglichen Liebe zerfließt und sich weinerlich das Leben nimmt, sondern weil das springende, herumtollende Körperwunder Vogel den Überdruss einer dazu vollkommen berechtigten Generation in seinem elastischen Leibe trägt, die endgültig die Schnauze voll hat vom Normierten, von den Glücksvernichtern bürgerlichen Zuschnitts. Britta Schreiber, für Regie, Text und Bühne verantwortlich, gibt Werther ein Leben vor
und neben Lotte. Da ist die Schwärmerei in der Natur, das Elend der kleinen Tierchen unter den Sohlen des Spaziergängers genauso enthalten wie Werther, das Subjekt des Subjektiven. Darin liegt etwas ganz Wunderbares: dass Werther nicht seiner Schwärmerei zum Opfer fällt, sondern diese nur ein Teil seiner Unabdingbarkeit dem Leben gegenüber und seinem eigenen Entwurf dazu ist.
Mit winzigen Erneuerungen (aus dem adligen Gesandten wird „der Chef“) einer Flokati-Wiese und Film-Zwischentiteln, mit einem minimalen Aufwand bei maximalem Ertrag, sicherte Schreiber diesem rasanten Abend seinen Kultstatus in Heilbronn, wo er 36 mal am Stadttheater lief. Nun wird er Pflicht in München, allein schon, um sich von Atef Vogel umgarnen und bezaubern zu lassen. Werthers Liebe ist frei von Kitsch und Ironie, klar, toll, hell. (Egbert Tholl)
Sterben aus unerfüllter Liebe? Gilt heute eher als psychopathisch und unreif. 1774 allerdings löste Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ einen Selbstmordboom aus. Der Autor jedoch, der sich damit seine unerwiderte Verehrung für Charlotte Buff von der Seele geschrieben hatte, war nach dem Suizid seines Helden gesundet und offen für neue Amouren.
Die schwärmerische Verzweiflung und Fixierung auf ein Liebesobjekt versuchen Schauspieler Atef Vogel und Regisseurin Britta Schreiber in heutiges Lebensgefühl zu übersetzen. Das gelingt recht überzeugend mit dem Bühnensolo „Werther“ im Metropol-Theater (als Koproduktion mit dem Theater Heilbronn). Obwohl Adam Greens Song „I wanna choose to die“ am Anfang einen traurigsanften Grundton anstimmt, sprüht Atef Vogel, einst deutscher Judo-Meister, vor sportiver Energie.
Eine gute Stunde lang rennt und springt er unermüdlich über den rasengrünen Teppich vor einer Leinwand, schlägt Purzelbäume und Salti. Mit Hawaii-Hemd, Reisetasche, Wasserflasche und schnell wechselnden Stimmungen ist er ein Kind des Pop himmelhoch jauchzend vor Verliebtheit, aggressiv und launsich vor Enttäuschung. Wütend mimt er Gangsterfilmposen, spielt mit den Pistolen, die er in gelben Socken verstaut, säuft sich zu, pöbelt herum, heult und singt seinen Schmerz heraus. Erstaunlicherweise verträgt sich das mit Goethes Sprache, und zum finalen Schuss quäkt ein Spielzeug-Santa-Claus. Eine Turnstunde des Herzens.
Brillant: Atef Vogel als Werther im Metropol-Theater
Wie kriegt man die Jungen an die Literatur? So.
Deutschlehrer sollten ihre von Goethe eher abgeturnte Klientel ins Metropol-Theater schleppen, sie da den jungen Typ, kaum älter als sie, Atef Vogel, erleben lassen, wenn er mit Haut und Haaren in Goethe immerhin 230 Jahre alten „Werther“ einsteigt.
Die Leistung von Schauspieler, Regie (Britta Schreiber) und Dramaturgie (Alexander Preiß) bei der Umsetzung des Briefromanes in einen Monolog: Der Zeitabstand ist aufgehoben, führt hier aber nicht zur Verrüpelung eines klassischen Textes. So entsteht im Zuschauer die Erkenntnis: Werthers wilde Gefühle sind nicht von gestern. Nicht nur in gelber Hose und blauer Jacke des Originals sind sie zu erleben, sondern auch in Jeans und Hawaiihemd.
Atef Vogel, körpergewandt wie ein Tänzer (was „Ballhaus“ Besucher wissen), rennt, springt, schlägt Purzelbäume, führt Werthers Überschuss an Gefühl rein körperlich vor. Das ist schon viel und sehr erheiternd anzusehen. Dazu kommt aber seine Sprachzucht. Der verschlampt den Goethe nicht in falsch verstandener Jugend-Schnoddrigkeit. Das kommt lupenrein – gefühlt, nicht aufgesagt -, und bei manchen Sätzen schlägt man später zu Hause nach: Es steht wirklich genau so bei Goethe.
Das nennt man Vergegenwärtigung eines großen Textes und seine Umwandlung in feuriges Theater. (Beate Kayser)
Premiere des Ein-Personen-Stücks 'WERTHER' nach Goethe in den Heilbronner Kammerspielen
Goethes „Werther“ ist seit 230 Jahre der Inbegriff für tiefes Empfinden, für überschäumendes Schwärmen und schmerzvolles Leiden. Daraus ein heutiges Stück zu formen, aus einer 230 Jahre alten Sprache und Haltung, diese Aufgabe hat Britta Schreiber gemeistert. Ihre Textfassung, bestehend aus sehr viel Goethe und ein bisschen Schreiber mit Unterstützung von Alexander Preiß, erweckt den literarischen Stoff zu fesselndem theatralischem Leben.
Der junge Werther hat das Elternhaus hinter sich gelassen, lebt unbeschwert vor sich hin und fühlt sich einfach großartig – bis er Charlotte kennenlernt, die wunderschöne Charlotte. Er verliebt sich Hals über Kopf, doch Lotte ist bereits verlobt. Seine Flucht in die ferne Stadt entpuppt sich als Irrtum. Werther zieht es zurück zu Lotte, die mittlerweile verheiratet ist. Der Leidende sieht nur noch einen Ausweg – den Selbstmord.
Vom Überschwang zum tödlichen Leiden. Diesen Weg in einem Solostück überzeugend zu beschreiben, das verlangt einem Schauspieler einiges ab. Atef Vogel durchmisst dieses Land der emotionalen Extreme sicheren Fußes: 75 Minuten höchste Anspannung, kraftraubende Körperlichkeit und das Publikum als einzigen Ansprechpartner. Vogel ist schon rein äußerlich ein ganz heutiger, hiesiger Werther mit groß geblümten Hippiehemd und ausgewaschenen Blue Jeans. Mimik und Gestik haben diese Lässigkeit, die die Jugend seit den Rock´n´Rollern der 50er Jahre auszeichnet. Solche Äußerlichkeit mit Goethes Innerlichkeit, mit seiner Sprache und emotionalen Offenheit überzeugend unter einen Hut zu bringen, das gelingt Vogel fast schon spielerisch leicht. Der Text, der eingangs wie eine Aphorismensammlung wirkt („Die sind am glücklichsten, die gleich der Kinder in den Tag hinein leben“), kommt ihm wie alltägliches Plaudern über die Lippen. Er tappt nicht in die Falle des pathetischen Deklamierens.
Dafür verlangt Regisseurin Britta Schreiber ihm auch zu viel ab. Mal muss er wie ein Welpe über die Wiese tollen, mal liebestrunken durch die Gegend taumeln und am Ende als verschwitztes, besoffenes Häuflein Elend am Boden kauern. Atef Vogel tut es durchweg überzeugend. Goethe trifft Vogel: Eine zündende Begegnung, die vom Premierenpublikum mit minutenlangem Applaus belohnt wird. (Uwe Grosser)